1. Juni 2021
Offener Brief zum Artikel „Kraftzentrum Senegal“ der KUNSTZEITUNG
mit großer Verwunderung und Verärgerung haben wir erst jetzt Ihren Artikel auf der letzten Seite der KUNSTZEITUNG Februar/März 2021 mit dem Titel „Kraftzentrum Senegal“ zur Kenntnis genommen.
Dort werden der Literaturwissenschaftler und Kurator Dr. Ibou Coulibaly Diop und die Tänzerin und Schauspielerin Josephine Baker mit dem gleichen exotisierenden, großväterlich-gönnerhaften Gestus beschrieben, der schon letztere in den 1920er Jahren auf ihren Platz verweisen sollte: Wie die “Bananenrockträgerin” sei Dr. Diop “angekommen” im “vielversprechenden Europa”, so der tonsetzende Anfangsparagraph des Artikels.
Ihre Autorin verletzt dabei zunächst einmal grundlegende journalistische Standards, denn sie selbst hat nie mit Herrn Diop gesprochen. Andernfalls hätte sie vielleicht etwas über dessen persönliche Ambitionen und Haltungen schreiben können, anstatt auf stereotypisierende Weise ihn und seine “Landsleute” als “tolerant und entspannt” zu beschreiben und ihm somit jegliche politische Diskurskritik abzusprechen.
Aber wie kommt eine Journalistin und Politikerin im Jahre 2021 dazu, Josephine Baker noch immer in kolonial-rassistischer Manier als “Bananenrockträgerin” zu bezeichnen, und in dieser Wortwahl den vermeintlich positiven Tonus ihres despektierlichen Artikels zu vermuten? Hier zeigt sich das zentrale Problem des Artikels, denn für die Autorin scheint die dekoloniale Debatte in der Weltanschauung des “Primitivismus” der 1920er bis 1940er Jahre stehen geblieben zu sein, der sich an Ausdrucksformen ‘außereuropäischer’ Kulturen bediente und darüber die Deutungshoheit beanspruchte. Wieder und wieder wird von der Autorin das N-Wort verwendet, da dieses ihrer Meinung nach vor hundert Jahren “nicht zwingend ein Schimpfwort” war, und somit die schon damals dem Wort inhärente Rassifizierung und Exotisierung legitimiert. Und im gesamten Artikel dient die Kunst eines komplexen Kontinents mit 54 Staaten, kondensiert auf eine Drittel Seite, vor allem einem Zweck: der “Befruchtung der europäischen Phantasie”. So wird auch das höchste Ziel des promovierten Wissenschaftlers und Kurators, Dr. Ibou Diop, in einem Zitat aus den 1920er Jahren vermutet: “einer Befruchtung der europäischen Phantasie, einer Verjüngung der alten europäischen Kultur.”
Offensichtlich haben sich Autorin und Redaktion hier keinerlei Gedanken gemacht, dass all die genannten Zuschreibungen, Stereotype und Exotisierungen einen rassistischen Diskurs perpetuieren, der spätestens im 21. Jahrhundert endgültig ausgedient haben sollte. Dass dies bereits in großen Teilen der Gesellschaft der Fall ist, hat sich nicht zuletzt an den deutschland- und weltweiten Protesten gegen rassistische Polizeigewalt nach dem Mord an George Floyd, die inzwischen in Gang gekommene Auseinandersetzung von Museen und Sammlungen mit kolonialem Raubgut und menschlichen Gebeinen und das wachsende Problembewusstsein für institutionellen und strukturellen Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft gezeigt. Ihr Artikel hingegen scheint mit seinem Rückgriff auf die Diskurse des frühen 20. Jahrhunderts blind für diese Debatten und stellt in seinen Propositionen einen Akt der persönlichen und epistemischen Gewalt dar.
Der Dialog zwischen Afrika und Europa sei ausbaufähig, schreiben Sie in der Überschrift. Damit mögen Sie wohl Recht haben; die Existenz dieses Artikels ist dafür der traurige Beweis.