Laura Bechert
Pressemitteilung #01
Die Klimakrise wird in Europa und den USA in den letzten Jahren immer stärker von Politiker*innen, aber auch der Zivilgesellschaft besprochen. Aber warum erst jetzt?
Weil die Folgen der Klimakrise immer stärker auch hier zu spüren sind: heißere Sommer, wärmere Winter, Hochwasser wie im Juli 2021 im Ahrtal oder in Süddeutschland.
Doch kolonisierte Länder leiden schon länger und auch stärker unter solchen Extremwetterereignissen. Das zeigen Berichte wie der Klima-Risiko-Index 20211 von Germanwatch. Demnach waren zwischen 2000 und 2019 Puerto Rico, Myanmar und Haiti am stärksten von Extremwetterereignissen wie Überschwemmungen, Stürmen und Hitzewellen betroffen. Diese Länder haben heftiger mit den Folgen solcher Unwetter zu kämpfen, da häufig wenig Ressourcen für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen. Ganz abgesehen von den Mitteln für Präventionsmaßnahmen. Doch warum sind Ressourcen so ungleich auf der Welt verteilt?
Dafür lohnt ein Blick in die Kolonialgeschichte.
Das Bundesamt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schreibt (2), dass seit Beginn der Industrialisierung um 1800 der Ausstoß von Treibhausgasen enorm angestiegen ist. Dadurch haben vor allem Menschen in industrialisierten Ländern seither massiv zur globalen Erderwärmung beigetragen.3 Viele Vertreter:innen des dekolonialen Ansatzes datieren allerdings den Ursprung der Klimakrise bereits auf etwa 300 Jahre vorher, als die Kolonisierungsprozesse auf dem amerikanischen und später dann auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent durch europäische Kolonisatoren ihren Anfang nahmen. Auch bekannt unter der vermeintlichen ‚Entdeckung Amerikas‘ durch den italienischen Seefahrer Christopher Kolumbus im Jahr 1492. Doch wer hat hier eigentlich wen entdeckt? Das ist eine Frage der Perspektive. Denn der Kontinent war schon lange vorher von Menschen bewohnt, nur nicht von weißen Europäer:innen.
“Everything you are is us” Prof. Ama Ata Aidoo, 1987, ghanaische Autorin, Poetin und ehemalige Bildungsministerin
Der europäische Kolonialismus beruht auf der Ausbeutung von Menschen und Umwelt. Diese Ausbeutung von allen nicht-weißen Menschen wurde und wird auf Grundlage des rassistischen Denkens legitimiert. Der ‚Reichtum‘, von dem Gesellschaften in Europa und den USA profitieren, baut auf genau dieser Ausbeutung auf. Grundbausteine des kapitalistischen Systems, in dem wir heute leben, wie zum Beispiel die Plantagenwirtschaft, wurden in der Kolonialzeit etabliert. Die Kolonisatoren nutzen versklavte Menschen als ‚Arbeitskräfte‘ und zwangen sie gewaltsam zu Schichtarbeit, um möglichst viel Profit herauszuschlagen.
Auch wenn der Kolonialismus als abgeschafft gilt und viele kolonisierten Länder ihre Unabhängigkeit erreicht haben, wirken die ausbeuterischen Strukturen bis heute fort und werden deshalb auch als koloniale Kontinuitäten bezeichnet.
Auf riesigen Monokultur-Plantagen in Brasilien wird Soja angebaut. Dafür müssen oft Flächen des Amazonas-Regenwaldes weichen. Indigene Gruppen werden vertrieben, die teilweise seit Jahrhunderten dort leben. Brasilien ist der größte Soja-Exporteur weltweit, allein Deutschland bezog 2023 fast 30 Prozent4 seiner Sojaimporte von dort. Wenn also Prozesse wie der Sojaanbau ausgelagert werden, treffen sie oft MAPA (Most Affected People and Areas). Solche Dynamiken lassen sich auch in vielen anderen Bereichen wiederfinden, wie beispielsweise im Umgang mit Plastikabfällen, die europäische Länder exportieren.
Solange diese Dimensionen jahrhundertelanger struktureller Ausbeutung basierend auf rassistischem Denken nicht ins Bewusstsein aller treten, können Klimalösungen nicht fair sein. In der aktuellen politischen Debatte über “grüne Lösungen" fehlen eindeutig diese historischen und sozialen Dimensionen. Menschen, die seit Jahrzehnten von Klimafolgen betroffen sind, müssen mitentscheiden können, wenn über Strategien gegen die Erderwärmung diskutiert wird.
Klimagerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit
Auf diesem Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht baut das Prinzip von Klimagerechtigkeit auf. Hierbei geht es nicht nur um bloßen ‚Klimaschutz‘, der sich auf technische Lösungen wie E-Autos fokussiert, bei denen unter anderem Menschen und Umwelt in der Demokratischen Republik Kongo beim Kobaltabbau ausgebeutet werden. Vielmehr geht es um die faire Übernahme von Verantwortung bei denen, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben und es weiterhin tun. Dazu gehören die USA und die EU5, denn historisch gesehen verantworten sie mit den höchsten Ausstoß an CO2-Emissionen, welche die Erderwärmung beschleunigen. Klimagerechtigkeit beleuchtet genau diese historisch gewachsenen Ungerechtigkeiten, die zur aktuellen weltweiten Lage geführt haben.
Viele Klimaaktivistis rufen auf Demonstrationen zu Klimagerechtigkeit auf, wissen dabei allerdings gar nicht, wo die Forderung eigentlich herkommt. Diese wurde nämlich in den Bali Principles of Climate Justice 2002 formuliert und niedergeschrieben. Sie stehen für eine Perspektive auf die Klimakrise, die Menschenrechte und Umweltgerechtigkeit in den Fokus stellt. Mehrere Umweltgruppen, unter anderem aus MAPA-Regionen, verfassten 27 Forderungen, die mehr Mitspracherecht von Betroffenen beinhalten. Das Manifest beruht auf einer älteren Erklärung aus dem Jahr 19916, die auf dem ersten People of Color Environmental Justice Leadership Summit in Washington, D.C. verfasst wurde. 1.100 Delegierte aus unterschiedlichen Communities tauschten sich in diesem Rahmen über Umweltgerechtigkeit aus. Die Umwelt galt in diesem Rahmen nicht als losgelöst vom menschlichen Dasein, wie es in mehrheitlich weißen Umweltgruppen bisher der Fall war, sondern als Lebensraum7, in dem gearbeitet und gespielt wird. Ein Lebensraum, der allerdings u. a. durch giftige Abfälle zerstört wird. Und wenn sich solche negativen Folgen durch Politik und Wirtschaft ergeben, aber auch durch beispielsweise Stadtplanung, und diese sich dann auf marginalisierte Gruppen auswirken, sprechen wir von Umweltrassismus. So geschehen im Jahr 1982 im US-amerikanischen Warren County im Bundesstaat North Carolina. Die Errichtung einer Sondermülldeponie in einer überwiegend von Schwarzen Menschen bewohnten Gemeinde löste damals heftigen Protest in der Community aus. Weitere Informationen zu diesem Vorfall und den Zusammenhängen zwischen Kolonialismus, Rassismus und Klimakrise finden sich in der Broschüre “Kolonialismus [&] Klimakrise - Über 500 Jahre Widerstand”8. Um solchen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken, einigten sich die Teilnehmenden des People of Color Environmental Justice Leadership Summit auf 17 Punkte, die in den "Principles of Environmental Justice"9 zusammengefasst sind - einem Grundpfeiler in der Umweltgerechtigkeitsbewegung.
Klimakrise und Finanzen
Dekoloniale Perspektiven auf die Klimakrise erfordern einen Systembruch. Wir brauchen neue Ansätze, um die Klimakrise aufzuhalten. Wir brauchen mehr Austausch mit betroffenen Communities, anstatt uns im kolonialen Konstrukt immer tiefer ins Unglück zu stürzen.
Mögliche Lösungsansätze wie beispielsweise der Loss [&] Damage Fonds, der auf der COP2810 besprochen wurde, sind ein guter Anfang. Doch noch hapert es häufig an der tatsächlichen Umsetzung solcher Lösungsansätze. Der Fonds, der nach wie vor auf internationaler Ebene diskutiert wird (Stand Juli 202411), soll so unbürokratisch wie möglich ausgestaltet werden, um Länder, die momentan am heftigsten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind, so schnell wie möglich zu unterstützen. Dabei sollen ausschließlich die Länder in den Fonds einzahlen, die historisch gesehen die Hauptverantwortung für die Erderwärmung tragen.
Bei Fragen der Finanzierung lohnt ein Blick auf das Thema Schulden. Denn auch sie spielen eine große Rolle, wenn es um klimagerechtere Lösungsansätze geht. Die Graswurzelbewegung Debt for Climate schreibt, dass ehemals kolonisierte Länder durch die Aufnahme teurer Kredite bei westlichen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds zur Finanzierung des eigenen Wirtschaftsaufbaus, dazu gezwungen sind, fossile Ressourcen in ihren eigenen Ländern abzubauen um damit ihre Schulden abzubezahlen. Gleichzeitig beuten westliche Großkonzerne die betroffenen Länder durch Landraub und Extraktivismus aus, oft ohne die lokale Bevölkerung entsprechend zu entschädigen. Um dieses Ungleichgewicht zu verringern, fordern globale Klimagerechtigkeitsbewegungen einen Schuldenerlass, sowie Reparationszahlungen für die Kolonialzeit , damit die betroffenen Länder unabhängiger werden und eine gerechtere Weltordnung entsteht.
Nun befinden sich diese Ansätze mehr oder weniger im Rahmen des kapitalistischen Systems, trotzdem geben sie Hoffnung und Inspiration, weiter in diese Richtung zu denken.
Kontakt: klimaantikolonial[at]protonmail.com
- https://www.germanwatch.org/de/19777
- https://www.bmz.de/de/service/lexikon/klimawandel-14606
- https://www.bmz.de/de/service/lexikon/treibhausgase-14864
- https://de.statista.com/infografik/19136/erntemenge-der-fuehrenden-anbaulaender-von-sojabohnen/
- https://ourworldindata.org/contributed-most-global-co2; https://www.wri.org/insights/history-carbon-dioxide-emissions
- https://www.corpwatch.org/article/bali-principles-climate-justice
- https://www.ucc.org/30th-anniversary-the-first-national-people-of-color-environmental-leadership-summit/
- Dodo, Kartal, S., Bechert, L., “Kolonialismus [&] Klimakrise - Über 500 Jahre Widerstand”; BUNDjugend (Hgg.), 2021
- https://www.ejnet.org/ej/principles.pdf
- https://www.germanwatch.org/de/89656
- https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw24-pa-ua-internationale-klimapolitik-1005280