11. September 2024
Dekoloniale Themen in die Schulen!
Vorschläge für die gegenwärtige Überarbeitung der Rahmenlehrpläne für Geschichte, Geografie, Philosophie und Politikwissenschaft in Berlin & Brandenburg
Pressemitteilung von Decolonize Berlin e.V., 11.09.2024
Bildung multiperspektivisch und intersektional gestalten: Kolonialismus als Querschnittsthema in Rahmenlehrplänen für die Oberschulen verankern
Aktuell läuft eine öffentliche Anhörung zu den Entwürfen neuer Rahmenlehrpläne für die Berliner Schule in den Fächern Geschichte, Geografie, Philosophie und Politische Bildung.Die Koordinierungsstelle für den Aufarbeitungsprozess zu Berlins kolonialer Vergangenheit bei Decolonize Berlin e.V. organisierte in den vergangenen 12 Monaten die Beteiligung von Schwarzen, diasporischen und postkolonialen NGOs am Anhörungsprozess und holte Expertisen von kritischen Wissenschaftler*innen ein. Dazu Merel Fuchs, Koordinierungsstelle: „Es ist positiv, dass Berlin die Meinung der interessierten Öffentlichkeit zu den neuen Rahmenlehrplänen erfragt, so wie es das Berliner Schulgesetz vorsieht. Allerdings waren die Informationen oft schwer zugänglich, die Möglichkeit für Kommentare nur nach Angabe eines Passwortes möglich. Nicht nur für gemeinnützige Vereine auch für Schüler*innen braucht es zukünftig niedrigschwellige Angebote.“
Als Ergebnis dieses breit angelegten Austauschs mit über 20 NGOs erstellte die Koordinierungsstelle umfangreiche Kommentare zu den Entwürfen. Diese wurden nun den zuständigen Fachkommissionen übergeben und sollen in die weitere Überarbeitung der Rahmenlehrpläne einfließen.
Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Berlins wurde vom Berliner Senat 2019 beschlossen. Ein Senatsbeschluss von 2023 unterstreicht die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Betroffenen sowie Wissenschaftler*innen bei der Überarbeitung der Rahmenlehrpläne für die gymnasiale Oberstufe. Im Koalitionsvertrag der Berliner Regierung ist festgelegt, dass die Rahmenlehrpläne diskriminierungskritisch überarbeitet werden. Tahir Della, Vorstandsmitglied von Decolonize Berlin, erklärt dazu: „Es ist wichtig, dass das Thema Kolonialgeschichte endlich zum Pflichtthema in den Schulen wird. Auch weil Rassismus als koloniale Kontinuität heute immer noch ein großes gesellschaftliches Problem darstellt. Deshalb ist es wichtig, bereits in der Schule mit der Aufklärung zu beginnen.” Darüber hinaus betont Della: “Aktuelle gesellschaftliche Debatten, die Deutschland führt, wie der Umgang mit Reparationsforderungen der ehemaligen kolonisierten Gesellschaften oder Fragen von Restitution und Repatriierung von geraubten Kulturgütern und Human Remains müssen im Unterricht der gymnasialen Oberstufe behandelt werden.”
Nach Auswertung der bei der Koordinierungsstelle eingegangenen Kommentare stellt Decolonize Berlin e.V. fest, dass in den von den Fachkommissionen vorgelegten Anhörungsfassungen für die genannten Fächer Themen wie Kolonialgeschichte und Kolonialrassismus kaum berücksichtigt werden. Dabei gehört es fachlich zu allen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte dient nicht nur der Vermittlung historischen Wissens, sondern sensibilisiert auch für den Entstehungskontext von Rassismus und ist demnach auch eine präventive Maßnahme, um Diskriminierung und rassistische Gewalt in der Gesellschaft zu verhindern.
Decolonize Berlin fordert, dass Kolonialgeschichte ein Pflichtthema sein muss, in dem die Schüler*innen sich Wissen über die deutsche Kolonialvergangenheit und ihre Wirksamkeit bis in die Gegenwart aneignen. Für das Schulfach Philosophie betont Decolonize Berlin, dass insbesondere bisher marginalisierte Perspektiven sichtbar gemacht und hervorgehoben werden müssen, um die vorherrschende eurozentrische Sichtweise in diesem Fach aufzubrechen.
Für den Rahmenlehrplan Politische Bildung kritisiert Decolonize Berlin, dass dekoloniale und intersektionale Ansätze nicht als Querschnittsthemen verankert und strukturelle Ausschlüsse in der Gesellschaft nicht explizit benannt und behandelt werden. Darüber hinaus fordert Decolonize Berlin auch hier eine stärkere Berücksichtigung politisch marginalisierter Perspektiven im Fach.
Besonders kritisch betrachtet Decolonize Berlin den Rahmenlehrplan Geografie. Hier wird weder der historische Beitrag des Faches zu Imperialismus und Kolonialismus reflektiert, noch werden Zugänge vermittelt, die der (historischen) Komplexität politischer und ökonomischer Dynamiken gerecht werden. Es braucht einen machtkritischen Paradigmenwechsel, um den eurozentrischen Blick in diesem Schulfach zu überwinden und koloniale Muster nicht weiter zu reproduzieren. Grundlage dafür sollte die Auseinandersetzung mit Schwarzen, postkolonialen, queeren und feministischen Raumtheorien sein und ein Fokus auf integrativer Geografie liegen.
Decolonize Berlin empfiehlt, das Fach Geografie mit dem Fokus auf „Klimagerechtigkeit“ zu unterrichten.
Es ist belegt, dass die Länder des Globalen Südens, die vorrangig ehemals kolonisierte Gesellschaften sind, die Hauptlast des Klimawandels tragen, obwohl sie nicht die Hauptverursacher des menschengemachten Klimawandels sind. Gleichzeitig ist der Klimawandel auch innerhalb der deutschen Gesellschaft eine soziale Frage, denn seine Folgen werden vor allem sozial benachteiligte Menschen besonders stark betreffen.
Die Forderungen nach Klimagerechtigkeit (sowohl globale Gerechtigkeit als auch Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit) und einer sozialen Klimapolitik adressiert genau diese historischen und ökonomischen Machtverhältnisse und zentriert die Perspektive der Betroffenen, die bereits seit Jahrzehnten auf Klimagerechtigkeit fordern.
Alle Kommentare von Decolonize Berlin zu den genannten Schulfächern sind HIER abrufbar.
Eine Beteiligung am öffentlichen Kommentierungsverfahren der Rahmenlehrpläne ist noch bis zum 13.09.2024 möglich.
Interessierte sind weiter eingeladen, an dem Prozess zu partizipieren. Die Kommentierung bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend, Familie ist über den folgenden Link Online-Befragung (für das Passwort uns bitte per E-Mail an info[at]decolonize-berlin.de kontaktieren) bis zum 13. September 2024 möglich.
Informationen zur Überarbeitung der Rahmenlehrpläne sind zudem auf der Seite der SenBJF verfügbar.
Für Rückfragen und weitere Informationen stehen wir gerne per Mail oder telefonisch zur Verfügung.
Hintergrundinformationen: Hier ist die Stellungnahme von über 20 NGOs zur Überarbeitung der Rahmenlehrpläne GOST vom 26.10.2023