Interview mit Mnyaka Sururu Mboro zur Umbenennung der Petersallee in Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee

„Unsere Arbeit ist noch lange nicht beendet!“

Was bedeutet die Umbenennung für dich?

Diese Frage wird mir nicht zum ersten Mal gestellt. Dennoch muss ich sagen, dass es mir nicht leicht fällt, darauf zu antworten. Ich bin nämlich ein Betroffener. Ich habe auch lange für eine Umbenennung gekämpft, deshalb bedeutet sie mir sehr viel. Aber ich muss etwas ausholen, um die Frage tiefergehend zu beantworten.

Um der deutschen Öffentlichkeit zu verdeutlichen, was ein solcher Straßenname mit uns macht, frage ich manchmal, wie sie sich fühlen würden, wenn es hier eine “Hitlerstraße“ gäbe.

Die Umbenennung der Straße ist für mich nicht unbedingt eine Befreiung, sondern eher ein Skandal, weil die Geschichte der Kolonialverbrechen bis heute nicht aufgearbeitet und die Taten der Kolonialverbrecher nicht sichtbar gemacht wurden. Die Umbenennung kann nun einen Beitrag leisten, um eben diese Taten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieses Ziel verfolgen wir auch mit dem Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel. [nbsp]Er ist ein Ausgangspunkt, von dem aus sich Interessierte weiter mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinandersetzen können.

Ich habe absichtlich das Beispiel der “Hitlerstraße“ genannt. Die Kolonialverbrechen waren für die Betroffenen äußerst grausam. Ich selbst habe diese Zeit nicht erlebt. Aber die damaligen Ereignisse wurden von den Menschen mündlich von Generation von Generation weitergegeben.

Ich wusste zuerst nichts über Carl Peters, den Namensgeber der Petersallee. Doch ab 1978 habe ich mich mit der deutschen Kolonialgeschichte in Tansania und vor allem bei uns in der Kilimandscharo-Region auseinandergesetzt. In der Zeit hat mich auch meine Oma damit beauftragt, den Kopf von Mangi Meli zurückzuholen. Nach zwei Jahren Suche in Deutschland bin ich erstmal wieder zurück nach Tansania gereist. Und als ich in meinem Dorf ankam, haben mich alle Menschen seltsam angeschaut. Ich war verwundert, weil ich ja nur zwei Jahre weg war. Und ich wollte ohnehin nur sechs Monate dort bleiben und dann wieder zurück nach Deutschland reisen. Als ich dann endlich im Haus ankam, wurde mir klar, weswegen sie mich so angeschaut hatten. Meine Oma war nämlich verstorben und ich hatte nichts davon gewusst. Und ich erfuhr, dass sie vor ihrem Tod allen verboten hatte, mir davon zu erzählen, wenn sie sterben würde. Der Grund war, dass ich einen wichtigen Auftrag zu erledigen hatte und dabei nicht gestört oder abgelenkt werden sollte.

Wie war es für dich, als du nach dem Tod deiner Oma zurück nach Deutschland gekommen bist?

Ich bin sechs Monate in Tansania geblieben, bevor ich wieder zurückgereist bin. Nach meiner Rückkehr wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte. Niemand schien überhaupt etwas über die deutsche Kolonialgeschichte zu wissen. Aber ich war Teil einer Gruppe, die sich damals aktiv im Kampf gegen das Apartheid-Regime in Südafrika engagiert hat. Wir haben uns auch für die Unabhängigkeitsbestrebungen afrikanischer Länder wie Simbabwe oder Namibia eingesetzt. Unsere Gruppe war nicht besonders groß. Auch die junge afrodeutsche Lyrikerin und Aktivistin May Ayim war mit dabei. Insgesamt waren wir nicht viele Afrikaner:innen in Berlin. Es gab zwar eine größere Community von Afro-Amerikaner:innen. Aber die Zahl der Afrodeutschen und vor allem der Menschen, die aus Afrika kamen, war klein. 1983 beschlossen wir, uns mehr mit dem Thema Kolonialismus auseinanderzusetzen. Eine kleine Gruppe von Afrikaner:innen traf sich damals regelmäßig im BAZ (Bildungs- und Aktionszentrum) in der Oranienstraße in Kreuzberg und gründete 1984 dort den ersten Verein der Afrikaner:innen in Berlin unter dem Namen AWAFINADA. Ich war aus Tansania dabei, ansonsten engagierten sich Leute aus Namibia, Südafrika, Sierra Leone, Uganda und eine Frau aus Kenia. Unsere Gruppe hatte allerdings keine Unterstützung und kaum Geld. Es gab keine finanzielle Förderung und die meisten Aktivist:innen hatten darüber hinaus Probleme mit ihren Papieren und konnten sich nicht frei bewegen. Deswegen habe ich mich aktiver beteiligt, weil ich keine Schwierigkeiten mit meinem Aufenthaltstitel hatte. 1984 organisierten wir dann unsere erste Veranstaltung - eine große Tagung zur Erinnerung an die Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 - und sind so in die Öffentlichkeit getreten. Die Veranstaltung fand im Hebbel-Theater statt, von dem wir große Unterstützung erhalten haben. Wir konnten den nigerianischen Schriftsteller Wole Soyinka einladen, der als erster Afrikaner den Literaturnobelpreis gewonnen hat, und Ngũgĩ Wa Thiong’o aus Kenia, der damals auch schon sehr bekannt war. Und auf dieser Konferenz habe ich zum ersten Mal vom Afrikanischen Viertel in Berlin gehört.

Und wie hast du darauf reagiert?

Am Anfang habe ich das nicht ganz verstanden. Ich fand es zunächst sogar schön, dass Straßen nach afrikanischen Ländern benannt sind. Und dann hat mir jemand erklärt, dass in dem Viertel auch Kolonialverbrecher wie Carl Peters geehrt werden. Als ich das gehört habe, war die Veranstaltung für mich gelaufen. Ich habe mich natürlich daran erinnert, dass meine Oma immer von Carl Peters geredet hat. Bei Vollmond forderte sie mich immer auf, den Mond anzuschauen, und fragte mich, was ich da sehen würde. Ich erkannte natürlich nichts außer den Vollmond. Aber sie drängte mich, genauer hinzusehen. Dann fragte sie mich, ob ich denn nicht den Schatten auf dem Vollmond erkennen könne. Für sie hatte dieser Schatten die Form eines Menschengesichts und dieser Mensch sei ein Deutscher namens Carl Peters. Sie konnte seinen Namen nicht richtig aussprechen und nannte ihn immer nur Kalipeta. Dieser Kalipeta, von dem sie sprach, war hier Gouverneur am Fuße des Kilimandscharo. Er hatte so viele Menschen hier hängen lassen. Manchmal tat er das nur zu seinem Vergnügen, während er sein Bier trank. Er war so grausam, dass wir ihn nur “mkono wa damu“ nannten. Das ist Kiswahili und bedeutet “blutige Hand“. Als ich nach Deutschland kam, wurde mir klar, dass er auch bekannt war - als Hänge-Peters. Als ich erfuhr, dass hier eine Straße nach diesem Mann benannt wurde, konnte ich es nicht glauben. Ich kann gar nicht beschreiben, wie brutal er und seine Soldaten waren, sondern lediglich die Worte meiner Oma wiedergeben. Sie erzählte uns, dass die Soldaten von Carl Peters die Frauen vergewaltigten, auch ihre eigenen Freundinnen. Ich weiß nicht, ob ihr dasselbe widerfahren ist, denn sie sprach immer nur von ihren Freundinnen.

Und nach diesem Verbrecher wurde eine Straße in Berlin benannt …

Ja, ich konnte nicht verstehen, warum sie einen solchen Menschen hier ehren. Wir forderten natürlich die Umbenennung der Straße und erfuhren dabei, dass sie nicht direkt nach Peters‘ Tod seinen Namen erhielt, aufgrund seiner zahlreichen Verbrechen. Das geschah erst 1939 unter dem NS-Regime. Denn die Nazis wollten nicht nur die Jüd:innen vernichten, sie wollten auch die Kolonien wieder zurückerobern, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verloren hatten. Deswegen ehrten sie Kolonialverbrecher wie Carl Peters und andere. Straßenumbenennungen war Teil dieser Ideologie. Noch heute gibt es im ganzen Bundesgebiet Straßen, die nach ihm benannt sind. In Hannover gibt es sogar in der Innenstadt ein Denkmal zu Ehren von Carl Peters. Daher geht es für mich bei der aktuellen Umbenennung nicht nur um die Berliner Petersallee.

Jetzt heißt die Straße Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee. Warum habt ihr explizit an den Widerstand und die Opfer des Maji-Maji-Krieges gedacht? Kannst du uns etwas zur Bedeutung dieses Krieges erzählen?

In Deutschland wird dieser Krieg auch als Aufstand bezeichnet. Damit bin ich aber nicht einverstanden. Es war ein Krieg, der von 1905 bis 1907 im Süden von Tansania tobte. Über 20 verschiedene Volksgruppen sind zusammengekommen und haben gegen den deutschen Kolonialismus gekämpft. Sie sagten nein zum Landraub, zur erzwungenen Arbeit der Bevölkerung, zu den Vergewaltigungen und anderen Verbrechen der Deutschen.

Der Krieg heißt Maji-Maji, weil Maji auf Kiswahili das Wort für “Wasser“ ist. Im südlichen Teil von Tansania gab es einen Heiler, der sehr beliebt war. Viele Menschen in der Region kannten und schätzten ihn sehr. Dieser Heiler namens Kinjikitile Ngwale teilte den Menschen eines Tages mit, dass er ein besonderes Schutzmittel entdeckt habe. Die Leute fragten ihn, was das für ein Mittel sei. Und er erklärte ihnen, sie sollten sein Mittel trinken und dann im Kampf gegen die Deutschen einfach “Maji Maji“ rufen. Sollten die Deutschen dann auf sie schießen, würden sich die Kugeln in Wasser verwandeln, ohne die Kämpfer zu verletzen. Damit wollte Kinjikitile die Menschen zum Kampf gegen den deutschen Kolonialismus motivieren. Das gab ihnen mehr Kraft, sich aus dieser Misere zu befreien. Denn das Leben konnte für die Menschen so nicht mehr weitergehen.

Die deutschen Kolonialherren kamen mit einem klaren Auftrag. Sie wollten die Menschen in den Kolonien nicht mehr einfach nur verschleppen und versklaven. Sie hatten ihre eigene Strategie. Sie führten eine Art Kopfsteuer ein, die auch Hüttensteuer genannt wurden. Natürlich wussten die Kolonialherren, dass sie sie nicht eintreiben konnten. Denn die Menschen hatten kein Geld, um eine Steuer zu bezahlen. Wer aber keine Steuern zahlt, musste nach dem Verständnis der Deutschen bestraft werden. Und da es in Tansania keine Gefängnisse gab, in die man die Menschen zur Strafe einsperren konnte, mussten sie ihre Schulden durch Zwangsarbeit auf den Feldern ableisten.

Wie kann aus deiner Sicht diese Geschichte, die du erzählt hast, nach der Umbenennung nun auch am Ort selbst sichtbar gemacht werden? Wie also kann die Straße zu einem Erinnerungsort werden?

Ab 2005 haben wir die Umbenennung der Petersallee, aber auch anderer Straßen wie der M*Straße noch einmal breiter gefordert. Dieser Prozess von der Forderung bis zur Umbenennung ist leider ein sehr langwieriger. Wir haben aber schon damals deutlich gemacht, dass wir mit der Umbenennung auch die Anbringung von Informationstafeln fordern. Auf diesen Informationstafeln sollen die dazugehörigen Geschichten zumindest zusammenfassend dargestellt werden. Selbstverständlich passen nicht alle Informationen auf eine solche Tafel. Aber die Menschen sollen wenigstens einen ersten Einblick in das Thema bekommen. Bei Interesse können sie sich dann im Internet oder anderswo selbst weiter über den deutschen Kolonialismus informieren.

Im Jahr 2010 waren wir mit dieser Forderung auch erstmals bei der Umbenennung des Gröbenufers in Kreuzberg erfolgreich. Am neuen May-Ayim-Ufer wurde eine Informationstafel in Deutsch, Englisch und Französisch angebracht. Und auf der Tafel steht, wer der erste Namensgeber der Straße war, Otto Friedrich von der Groeben, und für welche Kolonialverbrechen er verantwortlich war. Auf der Tafel steht auch, wer May Ayim war, die heutige Namensgeberin der Straße, und was sie in ihrem Leben geleistet hat.

Als wir 1984 angefangen haben, konnten wir uns solche Erfolge gar nicht vorstellen. Erst ab 2005 haben wir sie mit der Unterstützung vieler Aktivist:innen erzielen. Seitdem gab es wiederholt Gedenkmärsche und wir haben uns auch für die Forderung nach einem Denkmal für die Opfer von Kolonialismus und Versklavung oder einem Lern- und Erinnerungsort stark gemacht.

Und unser Kampf für weitere Umbenennungen und Infotafeln dauert an. Die Umbenennung der Petersallee in Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee war ein bedeutender Schritt. Doch unsere Arbeit ist noch lange nicht beendet.