Ciraj Rassool, Abteilung für Historische Studien, University of the Western Cape, Südafrika

Rehumanisierung – Ein Paradigmenwechsel

Die Idee der Rehumanisierung – der Wiederherstellung einer Menschlichkeit und Humanität, die zuvor entfernt oder verweigert wurde – ist nicht neu. Dennoch wurde der Begriff „Rehumanisierung” vermutlich zum ersten Mal in einem Museumskontext verwendet, als die ancestral remains des Ehepaars Klaas und Trooi Pienaar im Jahr 2012 von Österreichs Hauptstadt Wien nach Kuruman in Südafrika zurückgebracht wurden. Der südafrikanische ministerielle Beirat bestand in diesem Prozess auf einer Rehumanisierung als Restitutionsmethodologie.

Die Rückgabe der Gebeine von Klaas und Trooi Pienaar als Rehumanisierungsprojekt leitete einen wichtigen, richtungsweisenden methodischen Wandel in diesem Bereich ein, vor allem in Deutschland folgten einige Projekte diesem Beispiel. Insbesondere aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Restitution von ancestral remains, Kunstwerken und materiellen Kulturgütern als Teil musealer Transformation, Innovation und Dekolonisierung hat sich seither unser Verständnis für die Bedeutung der Rehumanisierung vertieft.

Im Jahr 2012, mitten in den Verhandlungen mit österreichischen Regierungsvertreter:innen, bestand die südafrikanische Delegation darauf, dass die Rückgabe der Gebeine des Ehepaars Klaas und Trooi Pienaar als Rehumanisierung stattfinden müsse. Dies sei zwingend notwendig, um die Entmenschlichung der Pienaars zu Lebzeiten und im Tod anzuerkennen. Als Khomani-sprechende Menschen von Khoesan-Herkunft wurden ihre Lebens- und Überlebensbedingungen durch den Völkermord im Süden Namibias fundamental beeinflusst und sie waren gezwungen, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Dabei erfuhren sie Rassifizierung und tiefe Entmenschlichung auf der Farm Pienaarsputs, in der Nähe von Gamopedi im Distrikt Kuruman, auf der sie sich unter grauenhaften Bedingungen verdingen mussten. Als sie Mitte 1909 an Malaria starben, wurden sie an einem abgelegenen Ort im Feld, 650 Meter vom Hof entfernt, nahe beieinander beerdigt.

Einige Monate später ließ Mehnarto, der Assistent des österreichischen Anthropologen Rudolf Pöch, ihre „gut erhaltenen” Leichname illegal exhumieren. Nachdem Mehnarto und seine Helfer sie in weiße Tücher gewickelt und ihre Kniegelenke aufgeschnitten hatten, warfen sie die Leichname in ein großes Fass. Sie schütteten zwei Säcke Salz in das Fass, verschlossen es und hoben es auf ihren Ochsenkarren. Diese Gewalttaten gegen die Leichen der Pienaars im Namen des Sammelns und Bewahrens trugen zu einem weiteren Prozess der Entmenschlichung bei. Später wurden auch die Knochen des Hirten Kouw, seines Sohn Masebi und einer seiner Frauen, Kruisband, auf den Wagen geladen. Zuvor hatte man das Fleisch von den Knochen geschnitten, dann die Knochen gekocht und die Skelette anschließend in Leinen gewickelt. All diese Gewalttaten wurden unter der angeblich wissenschaftlichen Leitung Pöchs begangen.

Der gewaltsame Raub der Körper von Klaas und Trooi Pienaar, ihr Transport mit Karren, Bahn und Schiff nach Hamburg und von dort Ende 1909 nach Wien sowie ihre Aufnahme in die Sammlungen der dortigen Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Naturhistorischen Museums stellen weitere Prozesse der Entmenschlichung und Objektifizierung dar. Die Leichen der Pienaars wurden zu Museumsobjekten eines angeblich primitiven „Rassetyps” degradiert. Außer der ihnen zugeschriebenen Typologie verweigerten die Sammlungsprozesse und Klassifizierungssysteme des imperialen Museums den Pienaars ihre Biographie und jegliche Persönlichkeit. Neben den Skeletten der Pienaars umfasst Pöchs Sammlung aus seiner Expedition ins südliche Afrika 80 Skelette, 150 Schädel und 50 Abgüsse.

Durch die von meinem verstorbenen Kollegen Martin Legassick und mir durchgeführte Forschung konnten die Leichen, die im Auftrag Rudolf Pöchs aus ihren Gräbern entnommen wurden, als Klaas und Trooi Pienaar identifiziert werden. Ihr Arbeits- und Familienleben, Geburts- und Todesdaten und ursprünglicher Begräbnisort waren bekannt. Die Tatsache, dass sie verheiratet waren, machte sie sofort zu Kulturträger:innen. Die Gebeine der Pienaars gelangten als vollständige Skelette in die österreichischen wissenschaftlichen Sammlungen und wurden erst später mazeriert. Auch dies trug dazu bei, dass Österreich letztlich einer Rückführung ihrer Gebeine nach Südafrika zustimmte. Die Umstände und die Art und Weise ihrer Rückkehr waren eng verknüpft mit der Frage nach der Rehumanisierung und dieser Prozess machte sie schließlich zu Bürger:innen Südafrikas, wenn auch mehr als 100 Jahre nach ihrem Tod. Er verkörperte jedoch nur einen ersten Schritt hin zu einer komplexeren Restitution. Hierfür waren weitere Verhandlungen notwendig, für die zunächst ein sowohl von südafrikanischer als auch österreichischer Seite bestätigtes Inventar aller mit Pöch in Verbindung stehenden ancestral remains, Besitztümer und Dokumentationsformen (Fotografien, Filme und Tonaufnahmen) erstellt werden müsste, welche in zahlreichen Wiener Museen und Sammlungen lagern. Trotz ihrer Verteilung auf verschiedene Museen und wissenschaftliche Disziplinen sollten sie als zusammengehörig verstanden werden.

Anfangs widersprach die österreichische Verhandlungsdelegation der Idee der Rehumanisierung mit dem Argument, dass sie unvereinbar mit europäischem Recht sei. Man drohte sogar mit einer Neubestattung in Wien. Es bedurfte einer geschickten Verhandlungstaktik des südafrikanischen Botschafters in Österreich und seines Teams, die schließlich erfolgreich zur Akzeptanz und Durchführung der Rehumanisierung führte. Petrus Vaalbooi, ein erfahrener Leader und Kulturvermittler, führte in der Akademie der Wissenschaften und in einem Festzelt in der südafrikanischen Botschaft Zeremonien durch, welche die koloniale Gewalt thematisierten und die Rehabilitierung der Plenaars und ihre Rehumanisierung narrativ darstellten.

Die Umbettung der Gebeine der Pienaars aus Museumskisten in Särge trug zu ihrer Entobjektifizierung bei. Die südafrikanische Flagge auf ihren Särgen symbolisierte die Zugehörigkeit zu einer demokratischen Nation und verlieh ihnen posthum die Staatsbürgerschaft. Die Teilnahme von Petrus Vaalbooi und anderen vom Nordkap ermöglichte den Pienaars auch die Rückkehr in eine Gemeinschaft – [nbsp]der Community der Khoesan und den Bewohner:innen der Provinz Nordkap. Bei den Community-Konsultationen im Vorfeld der Rückführung hatte Vaalbooi argumentiert, dass die Pienaars Teil der weitergefassten Familie der Nordkap-Bewohner:innen und Südafrikas insgesamt waren.

Nach der Rückkehr der Pienaars wurden die (re)humanisierenden Zeremonien und Erzählungen nochmals auf südafrikanischem Boden wiederholt, insbesondere bei der Wiederbestattung in Kuruman. Diese Narrative der Rehumanisierung schildern die Leben von Klaas und Trooi Pienaar anhand von Verwandtschaftsverhältnissen, welche die blut- und luftlosen Erzählungen der musealen Objektifizierung ersetzten. Sie waren wieder zu Menschen geworden, zu Personen und Bürger:innen, die zu einem Ort und einer Gemeinschaft gehörten, in einer Weise, die im Widerspruch zur Geschichte des Kolonialismus und dessen Fortbestehen steht. Und es handelte sich nicht nur um eine Repatriierung und Rückgabe (dt. im Original), sondern um eine Restitution und damit die Wiederherstellung von Menschlichkeit, Persönlichkeit und Zugehörigkeit als Teil einer Neugestaltung der südafrikanischen Gesellschaft.

Antikoloniale Wissenschaftler:innen sowie Vertreter:innen eines posthumanen und „mehr als Menschlichen” Ansatzes kritisierten die Idee der Rehumanisierung, weil sie impliziert und vermeintlich akzeptiert, dass die Verstorbenen keine Menschen waren. Dennoch hat sich der südafrikanische Restitutionsansatz der Rehumanisierung auf andere Projekte der Rückführung ausgeweitet. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die rehumanisierende Restitution im Jahr 2017 von Gebeinen aus Sachsen nach Hawai’i, ein Projekt unter der Leitung von Nanette Snoep. Der Verbund nationaler Museen Südafrikas (Iziko Museums of South Africa) betrieb die Rehumanisierung vor allem durch die Deakzessionierung von ancestral remains. Sie wurden der Sammlung und Forschung entzogen und an einen unzugänglichen Übergangsort – auf dem Weg zur Restitution – gebracht.

Während die Restitutionsdebatte an Komplexität gewonnen und sich weiterentwickelt hat, sind wir nun in der Lage, die Bedeutung einer Politik der Rehumanisierung als wesentliches Element von Restitution und Dekolonisierung zu benennen. Wir haben dafür argumentiert, Restitution als einen Modus anzuerkennen, in dem Ansprüche geltend gemacht werden. Als eine Form der Restitutionsarbeit und der gesellschaftlichen Neugestaltung, die sich grundlegend von einer bloßen „Rückgabe” unterscheidet. Restitution und Restitutionsarbeit erfordern das Verständnis, dass es sich hierbei nicht um eine bloße Aneinanderreihung von Ereignissen handelt, die allein von diplomatischem und politischem Handeln bestimmt wird. Ebenso wenig sollten wir Restitutionsprojekte innerhalb der Strukturen und Klassifikationen europäischer Museen durchführen.

Stattdessen ist Restitution eng mit reparativer Arbeit (also Wiedergutmachung und Reparation) verwoben und hat das Potenzial, eine neue Art von Museum zu konzeptualisieren. Die Frage der Restitution gehört zu den antikolonialen Forderungen, die die Nachfahr:innen ehemals kolonisierter Subjekte stellen. Der Prozess der Restitution kann nicht europäischen Museen oder Staaten überlassen werden, deren Arbeit – so wichtig sie auch ist – sich auf Provenienzforschung und Rückgabe beschränkt. Restitution als Rehumanisierung ermöglicht uns, die Disciplines of the Dead kritisch zu hinterfragen und darauf zu bestehen, dass es sich dabei um Trauerarbeit handelt und nicht bloß um aufklärerische Sammlungsverwaltung und Humanbiologie.

Rehumanisierung und Restitution sind die Grundlage dafür, auf einem Umdenken in Bezug auf das, was wir unter Museum verstehen, zu beharren – jenseits der Begrifflichkeiten der Aufklärung, die Individuen in Bürger:innen und Untertanen, zivilisiert und unzivilisiert, in Menschen und „Vormenschen“ einteilt. Die Rehumanisierung hat das Potential, zu einer neuen Menschlichkeit zu führen und zu Bürger:innen, die sich kritisch mit dem beschäftigen, was der Kolonialismus hinterlassen hat.