Koordinierungsstelle
We Want Them Back! – App zur Unterstützung bei der Suche nach den Vorfahr:innen
In deutschen Sammlungen und Institutionen befinden sich nach wie vor Ancestral Remains aus kolonialen Kontexten. Laut einer Umfrage1 der Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten aus dem Jahr 2023, die im Auftrag der Kulturministerkonferenz der Länder, des Auswärtigen Amtes, der Kulturstaatsministerin und der kommunalen Spitzenverbände in Berlin durchgeführt wurde, befinden sich allein in den 31 größten Museen und Universitäten in Deutschland über 17.000 Ancestral Remains aus kolonialen Kontexten.
Diese Gebeine wurden während der Kolonialzeit gewaltsam entwendet und für rassistische Forschungen missbraucht. Sie wurden aus allen Teilen der Welt (nicht nur ehemaligen deutschen Kolonien) zusammengetragen. Die Entmenschlichung von damals setzt sich heute in der anhaltenden Objektivierung der Menschen weiter fort – sei es in der Sprache, die im Wissenschaftskontext noch als normal empfunden wird, in der Art wie die Gebeine aufbewahrt werden oder auch in der Art ihrer Versicherung als Objekte.
Die beständige Präsenz dieser Gebeine in deutschen Institutionen stellt eine fortwährende Form der Gewalt dar, die bis in die Gegenwart reicht und ist ein Beispiel für Kolonialität, also dem Fortbestand von kolonialen Denk- und Handlungsmustern.
Nur durch eine kritische Aufarbeitung dieser kolonialen Kontinuitäten und, wenn möglich, die rehumanisierende Rückgabe der Ancestral Remains kann ein kleiner Beitrag zu restorativen Restitutionen geleistet werden. Sowohl Herkunftscommunities und internationale Expert:innen, aber auch zivilgesellschaftliche Akteur:innen in Deutschland fordern daher einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Ancestral Remains aus kolonialen Kontexten und eine Einbettung in Menschenrechte und das internationale Völkerrecht, um sicherzustellen, dass Rehumanisierungsprozesse als essenzieller Teil von Repatriierung verstanden werden.
Obwohl die Rückgabe der Ancestral Remains aus kolonialen Kontexten dem politischen Willen der Bundesregierung entspricht, sind Informationen über ihren Verbleib nicht transparent und vor allem für Angehörige und Herkunftscommunities nur schwer zugänglich.
Mit der App "We want them back" möchten wir einen entscheidenden Beitrag zur Forderung nach Transparenz leisten und aufzeigen, dass mehr Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in Bezug auf dieses schwierige Thema notwendig und möglich sind.
Der Prototyp der App, den wir gemeinsam mit Repat.A-Take und Visual Intelligence entwickelt haben, ermöglicht die transparente Aufbereitung von Basisinformationen und bietet Unterstützung bei der Suche nach Vorfahren. Die App informiert auch über Institutionen, in denen noch Ancestral Remains vorhanden sind. Mit Hilfe der „We want them back“-App können sich Vertreter:innen der Herkunftscommunities direkt an diese Einrichtungen wenden und konkrete Anfragen formulieren.
Für Familienangehörige und Communities ist es eine große Herausforderung, mögliche Institutionen in Deutschland zu identifizieren, um gezielte Suchanfragen zu stellen und die Gebeine ihrer Vorfahren rückzuführen. Ohne die Mitarbeit der Museen und Sammlungen ist dies nur schwer möglich - bisher sind die Daten von 19 Institutionen aus ganz Deutschland in der App sichtbar - derzeit wird an der Erweiterung der Datenbank gearbeitet.
Wir wollen mit dieser App die Geschichten hinter dem Raub sichtbar machen, die Entmenschlichung aufdecken, Communities bei der Suche nach ersten Anlaufstellen unterstützen und somit einen Beitrag zur Wiederherstellung der Menschlichkeit leisten.
Vorrangig richtet sich die App an Nachfahr:innen und Herkunftscommunities, die das Ziel verfolgen, ihre Vorfahr:innen in die Heimatländer zurückzubringen und einen ersten Überblick bekommen möchten, in welchen Institutionen Gebeine aus ihrer Region vorhanden sind.
Es ist besonders wichtig, dass die App einen dekolonialen und partizipativen Ansatz verfolgt und die Interessen der Nachfahr*innen in den Mittelpunkt stellt. Die Mitarbeit der Institutionen, Aktivist*innen und Zivilgesellschaft sind essenziell für die Weiterentwicklung der App.
Auch wenn die App nur einen ersten Überblick geben kann, war es uns wichtig, dass dekoloniale Ansätze sowohl inhaltlich als auch grafisch sichtbar werden. Inhaltlich beispielsweise durch Stories/Geschichten - wir möchten Menschen vorstellen, die auf der Suche nach ihren Vorfahr:innen sind, und die Geschichte von Personen zeigen, deren Körper gegen ihren Willen verschleppt wurden.
Ein Beispiel ist die Familie Kiwelu: Mchili Sindato Kiwelu war Akida (Berater) des Fürsten Mangi Meli, Oberhaupt des Volkes der Chagga, der den Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht in der Kilimanjaro-Region im heutigen Tansania anführte. Zusammen mit Mangi Meli wurde Kiwelu am 2. März 1900 von deutschen Kolonialtruppen in Moshi gehängt. Seinen Kopf schickte man für rassistische Forschungen nach Deutschland - seither versucht seine Familie, den Kopf zurückzubekommen und rituell zu bestatten. Nach jahrzehntelanger Recherche von Aktivist:innen ist der Familie nun seit längerem bekannt, in welcher deutschen Institution sich der Kopf befindet. Doch noch immer kämpft sie um die Herausgabe und eine rehumanisierende Rückführung der Gebeine nach Moshi – in Kiwelus Heimat. Zahlreiche Schwierigkeiten verzögern jedoch wieder und wieder die Rückführung. In der App erzählt Zablon Kiwelu, der Enkel von Mchili Sindato Kiwelu, seine Geschichte. [nbsp]Betroffene Nachfahr:innen können ihre Geschichte hier teilen - als Text, Video oder Audio.
Die Firma Visual Intelligence hat das Design der App an die Datenvisualisierung des US-amerikanischen Historikers und Philosophen W.E.B. Du Bois angelehnt, was beispielsweise erkennbar ist an der verwendeten Schrift oder den handgezeichneten Kreisen, aber auch grundsätzlich an der narrativen Position der Suche: Bei der Suche nach Vorfahren aus Tansania wird u. a. die Distanz zwischen Tansania und den Institutionen in Deutschland auf einer Karte visualisiert. Auf diese Weise wollen wir einerseits zeigen, woher die Menschen kommen, deren Gebeine sich nun in deutschen Museen und Institutionen befinden, und gleichzeitig verdeutlichen, welch große Entfernungen sie dabei unfreiwillig zurückgelegt haben, sowie die Absurdität, die in ihrer Verschleppung nach Deutschland liegt.
Visuell befinden sich die Institutionen „unter dem Mikroskop“– sie werden einer intensiven und kritischen Prüfung bzw. Analyse unterzogen. Sie sollten sich in Zusammenarbeit mit Familien und Herkunftscommunities wirksam dafür einsetzen, dass Rückgaben geschehen.
Die Idee ist, den Prototyp als Open Source App anzubieten und damit die Weiterentwicklung der App in die Hände der Communities zu legen, die an den Themen interessiert sind. Beim Launch der App im März 2024 haben Teilnehmende aus 14 Ländern gezeigt, dass das Interesse und der Bedarf, sich dazu auszutauschen, hoch sind. Daran werden wir auch im kommenden Jahr arbeiten.