6. Juni 2024
Die Unrechtssysteme Nationalsozialismus, SED-Diktatur und Kolonialismus gemeinsam thematisieren!
Stellungnahme von Decolonize Berlin e.V. 05.06.2024
Vor dem Hintergrund der aktuellen Kritik, zuletzt vom Verband der Gedenkstätten in Deutschland e.V./Forum (VGDF) vom 30. Mai 2024, am Entwurf für ein neues Rahmenkonzept zur Erinnerungskultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) möchten wir als ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen daran festhalten, dass die staatlich organisierten Verbrechen Nationalsozialismus, SED-Diktatur und Kolonialismus als drei Säulen in einem gemeinsamen Dokument zur staatlichen Erinnerungskultur behandelt werden müssen.
Wir teilen zwar die von den Gedenkstätten geäußerte Kritik am Rahmenkonzept, denn auch aus unserer Sicht braucht es mehr Wertschätzung von dezentraler Erinnerungsarbeit und -kultur sowie eine kritische, unabhängige und von zivilgesellschaftlichen Organisationen getragene Erinnerungsarbeit. Dennoch begrüßen wir den Schritt der BKM im Rahmenkonzept zur Erinnerungskultur, die drei staatlich organisierten Verbrechen in einem Konzept zu behandeln. Wir schätzen insbesondere den Gegenwartsbezug, der in den Themenfeldern vorgeschlagen wird. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die Unterdrückung durch das SED-Regime und die kolonialen Verbrechen stellen tiefgreifende historische Unrechtssysteme dar, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen, wie beispielsweise bei dem anhaltenden Anti-Schwarzen Rassismus und Antisemitismus sichtbar wird. Die Auseinandersetzung mit ihren Auswirkungen ist grundlegend für die Gestaltung einer diskriminierungsfreien und gerechten Zukunft.
Nachdem nun ein gesellschaftliches Grundverständnis für die Notwendigkeit der Aufarbeitung des Kolonialismus vorhanden ist und auch der politische Wille dazu im Koalitionsvertrag der Bundesregierung sowie in den veröffentlichten Erinnerungskonzepten zu Kolonialismus für Berlin und Hamburg bekundet wurde, muss diese Aufarbeitung auch tatsächlich von staatlicher Seite aufgenommen werden. Sie kann nicht allein Aufgabe zivilgesellschaftlicher Gruppen sein.
Auch die Gedenkstätten empfehlen die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Kolonialismus als weitere Säule der staatlichen Erinnerungskultur in ein überarbeitetes Konzept aufzunehmen.
Ein gemeinsames Erinnerungskonzept ermöglicht eine umfassende Darstellung der Verfolgungsgeschichten, der ideologischen Hintergründe und der langfristigen Folgen für die betroffenen Menschen und Gesellschaften. Die Thematisierung des Nationalsozialismus, der SED-Diktatur und des Kolonialismus in einem gemeinsamen Dokument stellt keine Relativierung der Shoah, des Porajmos und der Verbrechen des Nationalsozialismus insgesamt dar, sondern entspricht dem wissenschaftlichen Diskurs. Denn trotz ihrer unterschiedlichen historischen und geographischen Kontexte zeigen die Forschungen, dass diese Systeme durch ihre Mechanismen der Verfolgung und Unterdrückung miteinander verbunden sind. Für alle Themenkomplexe gilt, dass neben zentralen Gedenkstätten auch dezentrale Lern- und Erinnerungsorte notwendig sind.
Dazu Dr. Ibou Diop, Koordinator des Erinnerungskonzepts für Berlin: „Wir haben uns dezidiert bei der Entwicklung des Erinnerungskonzepts in Berlin dafür entschieden, gemeinsam mit bestehenden Gedenkstätten, insbesondere aus dem NS-Kontext, zusammenzuarbeiten und aus deren Erfahrungen zu lernen. Aus dieser Erfahrung heraus ist es notwendig und zielführend, wenn wir auch beim bundesweiten Erinnerungskonzept diesem Beispiel folgen. Deutschland hat eine historische Verantwortung, was das koloniale Unrechtssystem angeht. Diese sollte jetzt auch in einem gemeinsamen Konzept erarbeitet werden und nicht zukünftigen Generationen überlassen werden.“
In der Diskussion über die Ausgestaltung des bundesweiten Erinnerungskonzepts sprechen wir uns gegen die getrennte Behandlung dieser Themen aus. Eine gemeinsame Betrachtung stärkt nicht nur die Erinnerungskultur, sondern trägt auch dazu bei, der Opfer würdig zu gedenken und die Lehren aus der Geschichte für die Zukunft zu ziehen. Dazu erklärt Tahir Della, Vorstandsmitglied von Decolonize Berlin für die ISD: „Anti-Schwarzer Rassismus und Antisemitismus sind nach wie vor eingeschrieben im gesellschaftlichen Zusammenleben und prägen den Alltag marginalisierter Gruppen. Nur durch eine multiperspektivische Erinnerungskultur können diese ideologischen Kontinuitäten durchbrochen werden. Aber auch Migrationsgeschichte muss als Querschnittsthema verstanden werden und entsprechend Teil der Erinnerungskultur werden.“
Wir appellieren an alle Verantwortlichen und Beteiligten, die Bedeutung einer integrativen Betrachtung der staatlichen Unrechtssysteme des Nationalsozialismus, der SED-Diktatur und des Kolonialismus anzuerkennen und sie in einem gemeinsamen Dokument zu thematisieren. Dafür braucht es ein klares Bekenntnis der Bundesregierung und die nötige finanzielle Ausstattung für den Aus- und Aufbau von fehlenden Strukturen.
Abschließend möchten wir unsere Bereitschaft zum Ausdruck bringen, uns mit den NS- und SED-Gedenkstätten auszutauschen. Wir würden uns freuen, wenn unser Gesprächsangebot wahrgenommen wird.
Mitgliedsvereine von Decolonize Berlin e.V.
AfricaAvenir e.V.
AFROTAK TV cyberNomads
Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER) e.V.
FuturAfrique
Glokal e.V.
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) e.V.
JOLIBA e.V.
Korea-Verband e.V.
NARUD e.V.
Source D’Espoir e.V.
Tanzania-Network e.V.
Mitgezeichnet durch
ADEFRA Schwarze Frauen* in Deutschland e.V.
Afrika-Rat Berlin Brandenburg e.V.