Dr. Akiiki Babyesiza
Dekolonisierung des Berliner Wissenschaftsbetriebe
Wissenschaft und Forschung in der Kolonialzeit und darüber hinaus dienten der wissenschaftlichen Legitimation von weißer Vorherrschaft und Kolonialrassismus. Dies hat Auswirkungen bis in die Gegenwart. Aus diesem Grund hat Decolonize Berlin Forderungen und Maßnahmen zur Dekolonisierung wissenschaftlicher Einrichtungen und Praktiken aufgestellt, die ich folgendermaßen zusammenfasse:
- Neue Strukturen durch Gründung eines Wissenschaftszentrums zur Aufarbeitung des Kolonialismus, den Aufbau eines Netzwerks von dekolonial arbeitenden öffentlichen Institutionen und einen Lehrstuhl Black Studies.
- Die Ausstattung (finanziell und personell) der bestehenden Institutionen zur Aufarbeitung der Geschichte der Berliner Hochschulen als koloniale Institutionen.
- Die Stärkung vorhandener Strukturen innerhalb der Hochschulen im Bereich Antidiskriminierung.
- Förderung von kolonialismus- und machtkritischen Hochschulkooperationen mit dem Globalen Süden.
- Sofortige Repatriierung menschlicher Gebeine und Restitution und die eigentumsrechtliche Übertragung von Ahnen, Kultur- und Naturgütern.
Die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung hat zum April 2023 zu diesen Forderungen und den damit verbundenen Maßnahmen Stellung genommen. Daraus ergibt sich folgendes Gesamtbild:
Die kritische Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit wissenschaftlicher Fachgesellschaften und den Aufbau eines Netzwerkes von dekolonial arbeitenden öffentlichen Institutionen sieht die Senatsverwaltung außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs und positioniert sich daher nicht.
Bei der Förderung kolonialismus- und machtkritischer Hochschulkooperationen mit dem Globalen Süden sieht sich die Senatsverwaltung mit Verweis auf die Autonomie der Hochschulen nicht in der Verantwortung. Allerdings hat die Senatsverwaltung durch Hochschulverträge sehr wohl die Möglichkeit, die Hochschulfinanzierung mit konkreten Zielen zu verknüpfen.
Die Senatsverwaltung sieht weder eine Notwendigkeit für die Gründung eines Wissenschaftszentrums noch für eine Studie zur Untersuchung struktureller Diskriminierung beim Hochschulzugang. In beiden Fällen verweist sie auf bereits vorhandene Projekte und Aktivitäten bzw. Datenerhebungen in anderen Bundesländern.
Der Forderung nach Aufarbeitung der Geschichte der Berliner Hochschulen als koloniale Institutionen und damit verbunden eine personelle und finanzielle Ausstattung in diesem Bereich setzt die Senatsverwaltung bereits bestehende Projekte und Kommissionen entgegen. Damit wird implizit vermittelt, dass aufgrund bereits angestoßener Projekte kein weiterer Handlungsbedarf besteht.
Bezüglich der Stärkung von Antidiskriminierungsstrukturen verweist die Senatsverwaltung auf die jährlichen Erhebungen des LADG (Landesantidiskriminierungsgesetz) und die im Berliner Hochschulgesetz festgeschriebene Einrichtung von Beauftragten für Diversität und Antidiskriminierung an Berliner Hochschulen.
Die Einrichtung eines Lehrstuhls Black Studies wird geplant und die Digitalisierung von Archiven und Sammlungen wurde begonnen.
Die Forderung nach sofortiger Repatriierung menschlicher Gebeine und Restitution und eigentumsrechtliche Übertragung von Ahnen wird unterstützt.
Insgesamt zeigt die Stellungnahme, dass in der Berliner Wissenschafts- und Museumslandschaft bereits viele Einzelprojekte im Bereich Dekolonisierung und Restitution/Repatriierung durchgeführt werden und formale Antidiskriminierungsstrukturen durch das BerlHG und das LADG bereits vorhanden sind. Dazu ist folgendes anzumerken:
Neben der geplanten Einrichtung des Lehrstuhls für Black Studies und Einzelprojekten braucht es einen institutionellen Rahmen, um Dekolonisierung als strategischen Schwerpunkt der Wissenschaft im Land Berlin voranzutreiben und zu verankern. Denn Dekolonisierung ist ein fortwährender und langfristiger Prozess, der finanzielle Förderung und Ausstattung jenseits von projektbasierten Drittmitteln benötigt. Dabei müssen von Kolonialismus und Diskriminierung betroffene Akteur:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft personell eingebunden sein. Jedoch werden Maßnahmen, die die strukturelle und nachhaltige Verankerung von Dekolonisierung zum Ziel haben, wie die Gründung eines Wissenschaftszentrums und den Aufbau eines Netzwerks von dekolonial arbeitenden öffentlichen Institutionen, in der Stellungnahme eher kritisch eingeschätzt.
Lokale Aufarbeitung benötigt lokale Daten. Es ist zu begrüßen, dass Antidiskriminierungsstrukturen bereits gesetzlich vorgesehen sind. Zu ihrer Stärkung bedarf es allerdings nicht nur der Datenerhebung und eines Monitoringsystems, sondern auch klarer Regeln, wie und wo die Daten veröffentlicht werden und in welcher Form sie den Kampf gegen strukturelle Diskriminierung bezüglich Hochschulzugang, Studium, Lehre und Forschung informieren.
Museumskooperation und Dialog können Teil eines Aufarbeitungsprozess sein, die sofortige Repatriierung und Restitution können sie jedoch nicht ersetzen. Die Auflistung der Projekte im Bereich Restitution und Provenienzforschung macht deutlich, dass nicht alle Museen zu sofortigen Rückgaben bereit sind, sondern zum Teil ihren Schwerpunkt auf Dialog und Capacity-building legen.
Dekolonisierung meint schließlich nicht nur die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in Bezug auf Institutionen, Sammlungen, Lehre, Forschung und Personal, sondern einen Transformationsprozess, an dessen Anfang die Sichtbarmachung und Reflexion kolonial geprägter Inhalte, Praktiken und Strukturen im Wissenschaftsbereich steht, die in die Institutionalisierung einer dekolonialen Praxis mündet. Dabei ist es wichtig, dass zum einen formale Strukturen aufgebaut werden, die die wissenschaftliche Aufarbeitung bündeln, zum anderen solche, die strukturelle Diskriminierung bekämpfen. Der Universitätskanon und Hochschulkooperationen müssen dekolonisiert und die sofortige Repatriierung von menschlichen Gebeinen vorbereitet und Raubgut restituiert werden. Neue Strukturen und der Grad ihrer Wirksamkeit in der Praxis entscheiden darüber, ob wir eine performative oder transformative Dekolonisierung in der Berliner Wissenschaft auf den Weg bringen.