Lawrence Nana Yaw Oduro-Sarpong
Internationale Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ – eine überfällige Überflüssigkeit
Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten gibt es sehr lange, und es liegt in der Natur der Sache, dass alle Parteien proaktiv daran teilnehmen und einen selbsterklärten Nutzen daraus ziehen. Aus diesem Grund hat Zusammenarbeit einfach nur Zusammenarbeit geheißen und tut es vielerorts immer noch. Seit der Unabhängigkeit der ehemals von europäischen Mächten kolonialisierten Länder sehen wir einen neuen Zusatz, welchen es bei der vermeintlichen Zusammenarbeit mitzubenennen gilt, um aufzuzeigen, dass die Partner:innen der Zusammenarbeit respektiert werden. Dieses Phänomen heißt: Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“. Der eigentlich selbstverständliche Respekt, die Haltung der Augenhöhe, ist hier offensichtlich nicht mehr vorhanden, wenn durch die Kolonialisierung und Ausbeutung anderer reich gewordener Länder mit ihren ehemaligen Kolonien und anderen armen Ländern „zusammenarbeiten“.
Paternalistische Tendenzen vermeiden, identifizieren und beseitigen
Es gibt internationale oder interregionale Kooperationen und Partnerschaften auf vielen verschiedenen Ebenen, beispielsweise zwischen dem Bundesland Berlin und Städten wie Los Angeles oder Tokio. Bei den genannten Beispielen ist die Augenhöhe so selbstverständlich, dass sie offenbar nicht erwähnt werden muss. Auch bei den Partnerschaften zwischen Deutschland und Ländern wie Brasilien, Saudi-Arabien, Südkorea oder Indien bleibt die Erwähnung von Augenhöhe meistens aus. Wenn Deutschland mit Ländern wie Ecuador, Jamaika, dem Jemen, Marokko, oder dem Senegal „zusammenarbeitet“ oder Berlin mit einer Stadt wie Windhoek eine Partnerschaft eingeht, dann ist Augenhöhe jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr. Sie muss gesondert betont werden. Genau dies zeugt davon, dass in einem Kontext, in dem „Augenhöhe“ explizit erwähnt werden muss, diese nicht als selbstverständlich erachtet und folglich als nicht gegeben betrachtet wird.
Die vorhandene oder nicht vorhandene Augenhöhe ist entscheidend für die Gestaltung und den Erfolg oder Misserfolg einer Zusammenarbeit auf internationaler Ebene im Sinne der Gleichwertigkeit aller Menschen. Aus diesem Grund wäre das Land Berlin gut beraten, in seinen Bemühungen um Kooperationen mit Ländern des „Globalen Südens“, paternalistische Tendenzen zu vermeiden. In bestehender Form müssen diese paternalistischen Tendenzen sehr genau identifiziert und beseitigt werden.
Kolumbus-Syndrom
Ich möchte eine sehr geschätzte Kollegin, Lucia Muriel, wie folgt zitieren: „Wir werden die Verhältnisse einer über 500-jährigen kolonialen Realität nicht weiter dulden. Dies gilt für sämtliche aktuellen Diskurse und Praktiken, für Theorien, für Debatten und die Arbeitspraxis. Wir werden uns nicht länger unsere Perspektive auf das Feld Migration und Entwicklung diktieren lassen. Konkret bedeutet dies, dass keine der unterschiedlichen Formen alleiniger Gestaltungs-, Definitions- und Entscheidungsmacht länger zulässig sind. Vielmehr müssen sich sämtliche Akteur:innen auf den Weg machen und sich auf neue Formen der Zusammenarbeit, der Verteilung von Ressourcen sowie von Gestaltungsmacht einlassen.“ (MoveGlobal/Muriel 2014: 17).
Diese Zeit ist schon längst gekommen. Viele von uns aus den Diasporen des „Globalen Südens” schauen nicht mehr tatenlos zu, wie mit uns und mit unseren Bezugsländern umgegangen wird. Wir appellieren an das Land Berlin, dies als Chance zu verstehen und für die Neugestaltung der Beziehungen mit uns und mit den Gesellschaften in unseren Bezugsländern zu nutzen. Viel zu lange sind unsere Stimmen ignoriert worden, und wenn auf uns gehört wurde, dann wurden unsere Forderungen nicht ernst genommen. Und wenn sie ernst genommen wurden, dann wurden sie sich zumeist angeeignet. Und wenn man sich unserer Themen bedient hat, ohne damit unsere Ziele zu verfolgen, hat man die „Partnerschaftsrhetorik” zur Stabilisierung des herrschenden Systems instrumentalisiert. In diesem Sinne werden wir samt unseren Themen im „Kolumbusstil“ immer wieder „entdeckt“ (das Kolumbus-Syndrom lebt fort). Die hier angesprochene Entdeckung liegt darin, dass unsere legitimierten Forderungen zunächst als überzogen und radikal abgewehrt und zurückgewiesen werden. Da unsere Würde davon abhängt, dass wir für unsere Rechte einstehen, hören wir nicht auf, unsere Forderungen zu bekräftigen. Wenn sie schließlich durch die langen Widerstände und Kämpfe der Diasporen und solidarischer Gruppen anerkannt werden, erfahren sie plötzlich Zustimmung von denselben Menschen und Institutionen, die sie ursprünglich für überzogen hielten – eine scheinbare 'Entdeckung', die dann für ihre eigenen Zwecke vereinnahmt wird.
Der Dekolonialisierungsdiskurs als Modeerscheinung
Die von uns gesetzten Themen, nämlich unsere Forderungen nach Teilhabe in allen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Bereichen, nach dekolonialen Bildungsinhalten, nach machtkritischer und dekolonialer internationaler Zusammenarbeit, Entwicklungspolitik und Partnerschaften, schreiben sich viele Akteur:innen in den Arbeitsfeldern groß auf ihre Fahnen und machen sie zu ihrer Chef:innensache. Allerdings erfolgt dies häufig mit dem Ziel, das eigene Ansehen oder das der Organisationen bzw. Institutionen, die sie vertreten oder für die sie arbeiten, zu verbessern. Aufgrund unserer Unnachgiebigkeit ist inzwischen bei allen angekommen, dass ein Weitermachen wie bisher nicht mehr möglich und auch nicht mehr zeitgemäß ist. Aus diesem Grund erleben wir oft, dass Institutionen und Organisationen sich den Themen Antirassismus, Machtkritik und Dekolonisierung annähern, aber das nicht gerade aus einer Eigenmotivation heraus tun. Sehr oft tun sie dies, um dem neuen Trend anzugehören und en vogue zu sein, statt wahrhaftig diese Dinge zu leben. Das führt dazu, dass diese Themen in den unteren Hierarchieebenen zugelassen und angegangen werden. Sobald sie allerdings anfangen, in die Strukturen zu wirken, wird zurückgerudert, indem Finanzmittel gekürzt oder auf neue Themen gesetzt wird. Am Ende bleibt eine kosmetische Annäherung ohne strukturelle Anpassung, und dieser Ansatz ist keineswegs nachhaltig. In wenigen Fällen sind unsere Stimmen tatsächlich gehört, ernst genommen und Änderungen in unserem Sinne umgesetzt worden. Diese neue Entwicklung begrüßen wir sehr und wollen daran arbeiten, dass dies zur Norm wird.
Sonderrolle
Als Akteur:innen in der migrantischen und migrantisch-diasporischen Gemeinschaft tragen wir eine wichtige und unersetzliche Verantwortung bei der Förderung und Gestaltung einer internationalen Zusammenarbeit, die sowohl machtkritisch als auch dekolonial ausgerichtet ist. An vielen Orten nehmen wir bereits aktiv und entscheidend diese Rolle wahr. Auch bei der Dekolonisierung und dem Abbau von neo-kolonialen Strukturen in allen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Ebenen bringen wir uns immer stärker ein. Durch unsere aktive Beteiligung am alltäglichen Leben in Berlin sowie in unseren familiären und persönlichen Verbindungen zum Globalen Süden werden wir zu unentbehrlichen Akteur:innen bei der Entwicklung und Gestaltung von Kooperationen auf vielfältigen Ebenen. Wir verkörpern, erleben und verstehen die Lebensrealitäten sowohl hier in Berlin als auch in unseren Bezugsländern und agieren als natürliche Brückenbauer:innen und Vermittler:innen in den Bestrebungen um neue, dekoloniale Beziehungen in den Bereichen wirtschaftliche Zusammenarbeit, kultureller Austausch und Entwicklungspolitik. Aus diesen Gründen sollte es im Interesse des Berliner Senats sein, explizit die Strukturen von migrantischen und migrantisch-diasporischen Initiativen, Vereinen und Organisationen strukturell zu fördern, um sie wertzuschätzen und zu stärken, damit beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren.
Dekoloniale Partnerschaften
Partnerschaft ist eine natürliche Sache, die wir Menschen seit unserer Existenz auf diesem Planeten eingehen. Idealerweise werden Partnerschaften von allen beteiligten Parteien freiwillig eingegangen und bringen allen Beteiligten einen Nutzen. Selbstverständlich sollte es auch sein, dass der Gegenstand und die Ziele der Partnerschaften gemeinsam von allen Beteiligten beschlossen werden. Partnerschaften gibt es in vielen verschiedenen Kontexten, sei es in der Ehe oder auf kommunaler, regionaler oder internationaler Ebene. Damit eine einvernehmliche Partnerschaft ihren Namen wahrhaftig verdient, beruht sie auf gegenseitiger Anerkennung und auf gegenseitigem Respekt. Leider sind diese Selbstverständlichkeiten nicht überall akzeptiert, insbesondere dann nicht, wenn in den „Partnerschaften” Machtasymmetrien bestehen. In der Entwicklungspolitik müssen wir nicht mehr darüber diskutieren, ob Machtasymmetrien zwischen Deutschland bzw. dem Land Berlin und „Partner:innen“ im Globalen Süden existieren. Entsprechend müssen diese historisch bedingten Schieflagen anerkannt und aufgearbeitet werden. Dies geschieht bereits, und ich möchte hier anmerken, dass sich das Land Berlin recht gut für Dekolonisierung einsetzt und im Bundesvergleich vorbildlich ist.
Neuer Fördergeist notwendig
Im jetzigen Zeitalter der Dekolonisierung müssen Strukturen von Partnerschaften und der Entwicklungspolitik entsprechend angepasst werden. Es müssen unterschiedliche Kriterien für unterschiedliche Gruppen und Organisationen entwickelt werden. Gruppen, die verstärkt benachteiligt werden, beispielsweise, weil sie (junge) migrantische Organisationen sind, sollten verstärkt gefördert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es ratsam, spezifische Kriterien zu entwickeln und gegebenenfalls zu berücksichtigen, die über die bestehende Praxis hinausgehen. Der bisherige Kriterienkatalog, der vor langer Zeit für eine bestimmte Zielgruppe erstellt wurde, sollte nicht einfach pauschal auf alle Zielgruppen angewendet werden, ohne die Besonderheiten anderer Zielgruppen zu berücksichtigen, die damals nicht mitgedacht worden sind. Hier wird dem Berliner Senat empfohlen, Hindernisse, die migrantische und migrantisch-diasporische Organisationen in der Förderlandschaft erleben, zu beheben und danach Maßnahmen des Vorteilsausgleichs zu entwickeln. Grundlage dafür bietet unter anderem die von Lucia Muriel erstellte Studie: „Die (bundesdeutsche) Eine-Welt aus einem Guss?”