Anwenden

Lehrkräfte bewegen sich im schulischen Alltag ständig im Spannungsfeld zwischen strukturellen Vorgaben und individuellen Handlungsmöglichkeiten. Das Kapitel “Anwenden” zeigt unterschiedliche Handlungsoptionen auf. Zum einen enthält das Kapitel methodisch-didaktische Zugänge und Vorschläge, um den Unterricht um dekoloniale Perspektiven zu erweitern. Außerdem bietet es Struktur- und Methodenvorschläge bei der inhaltlichen Thematisierung im Unterricht.
Wie können eine bewusste Vor- und Nachbereitung, das Wahrnehmen von (Selbst-)Positionierung oder Biografiearbeit dabei helfen, dekoloniale Ansätze in die Unterrichtspraxis zu tragen und die deutsche Kolonialgeschichte im Unterricht zu thematisieren? Was können alle Lehrkräfte, fächer-, alters- und schulformunabhängig dazu beitragen und braucht es dafür wirklich “Extra-Unterrichtsstunden”?

Die Rahmenlehrpläne der Sekundarstufe I in Berlin werden exemplarisch genutzt, um mögliche inhaltliche Anknüpfungspunkte und Bezüge aufzuzeigen. Anschließend wird ein Vorschlag für einen Unterrichtsverlauf angeboten, das sich an einem 5 Phasen Modell orientiert und anhand eines mehrfach durchgeführten Workshop-Konzeptes konkretisiert wird.

Handlungsempfehlungen

Die Anforderungen zur Inhalts- und Themenwahl in den Rahmenlehrplänen bieten die Grundlage einer diskriminierungskritischen Unterrichtsgestaltung. Eine genauere Auseinandersetzung mit den einzelnen Rahmenlehrplänen der Fächer bietet zahlreiche Möglichkeiten Kolonialgeschichte und Koloniale Kontinuitäten inhaltlich zu thematisieren, denn in ihnen werden konkrete Themenfelder benannt, die sich multiperspektivisch erweitern lassen. Im Material werden einige mögliche Optionen für unterschiedliche Unterrichtsfächer aufgezeigt.

Angesichts des strukturbedingten Zeitmangels im schulischen Alltag erscheint es vielen Lehrkräften kaum realistisch, neue Inhalte oder aufwendige Konzepte zusätzlich in den Unterricht zu integrieren. Doch dekoloniale Bildungsansätze können in verschiedenen  Formen und mit unterschiedlichen zeitlichen Ressourcen in den Praxisalltag eingebettet werden. Ein Praxisbeitrag von Lehrkraft zu Lehrkraft zeigt ganz konkret auf, wie solche Spielräume im schulischen Alltag konkret genutzt werden können.

In vielen Fächern gehört die Nutzung von Lehrbüchern zum festen Bestandteil des Unterrichts. Diese Lehrbücher sollten jedoch nicht als bloße Instrumente der Wissensvermittlung verstanden werden, sondern als Korpus eines Wissens, das kolonial geprägt ist. Auch alle weiteren im Unterricht verwendeten Materialien müssen einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Im Material werden dafür einige Leitfragen formuliert. Wichtig ist zunächst das Hinterfragen und Erkennen kolonial-rassistischer Narrative. Anschließend können aktiv dekoloniale Perspektiven platziert werden.

Positionierung meint, dass Menschen aus bestimmten sozialen Lagen, Erfahrungen und Machtverhältnissen heraus in Beziehung zur Welt und zu anderen Menschen verortet sind. Sie entstehen aus sozialen, politischen und historischen Verhältnissen und wirken sich ganz konkret auf die Lebenswelten der Menschen sowie ihre Zugänge und Ressourcen aus. Das bedeutet, dass Schüler*innen mit verschiedenen Voraussetzungen, Ressourcen und Erfahrungen am Unterricht teilnehmen. Auch Lehrkräfte sind in solche Strukturen eingebunden und bringen diese Perspektiven unausweichlich mit in den Unterricht. Das Material zeigt auf, welche Konsequenzen daraus folgen können und bietet Umgangsmöglichkeiten.

Um Kolonialgeschichte angemessen thematisieren zu können und dabei einen diskriminierungssensiblen Lernraum zu schaffen, braucht es eine reflektierte didaktische Rahmung. Das Material zeigt Möglichkeiten in Form von Vor- und Nachbereitungen auf.

Biografien stellen komplexe Zusammenhänge über individuelle Lebenswege dar und eröffnen damit Zugänge, die kognitiv, emotional und sozial anschlussfähig sind. Zudem stärkt Biografiearbeit das Bewusstsein, dass auch die eigene Geschichte und Lebensrealität Teil größerer historischer und gesellschaftlicher Prozesse sind. Viele der im Material genannten Biografien sind außerdem im Stadtraum präsent, sodass der Stadtraum als Lernort aktiv eingebunden werden kann.

Ein phasenbasiertes Unterrichtsgerüst soll dabei unterstützen, Themen rund um Kolonialismus unabhängig von Fach oder Jahrgangsstufe aufgreifen zu können. Jede Phase ist dabei an ein klares Ziel geknüpft und eröffnet verschiedene methodische Zugänge. So können Inhalte je nach Fachkontext, Altersgruppe, Unterrichtszeit und Leistungsheterogenität differenziert umgesetzt werden. Auf dieser Grundlage bietet das Material außerdem ein beispielhaftes konkretes Konzept, das im Rahmen eines 90 minütigen Workshops konzipiert und an den schulischen Unterricht angepasst wurde.